Bei den aktuellen Höchstständen stellen sich Anlegerinnen und Anleger die folgende Frage: Jetzt investieren? Macht das überhaupt noch Sinn?
Wäre das nicht ein Fehler, jetzt zu investieren, wo doch vielleicht sowieso bald ein Börsenabschwung kommt und dann alles nach unten rauscht?
Machen wir einen kleinen gedanklichen Umweg: kennst Du das blöde Gefühl, wenn Du am Bahnhof einen langsameren Zug durchfahren lässt, weil Du lieber die schnelle Verbindung nehmen möchtest, die danach kommt, aber sie fällt aus?
Ja. nicht nur in Zeiten der GDL-Streiks, kann so etwas schon mal vorkommen. Und auch wenn der aktuelle Streik vorbei ist: nach dem Streik ist ja bekanntlich vor dem Streik.
Bei der Geldanlage kann es Dir ähnlich gehen. Du sitzt da und grübelst, ob du jetzt wirklich Geld in den Markt pumpen solltest, der gerade von Höchststand zu Höchststand geeilt ist.
Da hast Du vielleicht das Gefühl, dass der Zug bereits abgefahren ist und Du jetzt nicht mehr aufspringen kannst. Du stehst dann einfach blöd auf dem Bahnsteig herum. So wie manche vergeblich hoffen, dass es doch noch eine andere Zugverbindung gibt, hoffst Du auf einen Rücksetzer.
Schauen wir uns das doch mal etwas genauer an. Wenn du vorhast, dein Geld für mehr als 15 Jahre anzulegen – und das sollte dein Plan sein, wenn Du in Aktien-ETFs investierst – dann ist Einstiegszeitpunkt gar nicht so entscheidend, wie du vielleicht denkst.
Warum? Weil wir hier die goldene Regel greift:
„Time in the Market“ is more important than „Timing the Market“
bzw.
„Zeit im Markt“ ist wichtiger als im Markt „den richtigen Zeitpunkt abzupassen.“
Okay. Wenn die Märkte gerade neue Höchststände erreichen, fühlt es sich natürlich nicht so toll an, Geld zu investieren. Es ist etwas unbehaglich.
Hier zeigen sich einfach unsere gewöhnlichen Muster, die man im Buddhismus die drei Geistesgifte nennt: Unwissenheit, Anhaftung und Abneigung.
Unwissenheit bedeutet hier, dass wir nicht wissen, wie es weitergeht. Entsprechend versuchen wir, irgendwo von außen eine Hilfe zu bekommen.
Vielleicht kann mir ja die Fundmentalanalyse sagen, wie es morgen an den Börsen weitergeht? Vielleicht weiß es auch der Dirk Müller? Vielleicht hilft mir dieser Artikel vom ETF-Yogi? Leider nein. Tatsächlich weiß das einfach niemand. Zu wissen, dass man es nicht weiß, ist aber schon mal ein Fortschritt.
Trotzdem würden wir es gerne wissen. Wir haben schließlich Anhaftung an unser Geld und wollen es nicht verlieren. Wir haften auch an Gewinnen an, von denen wir uns angezogen fühlen.
Gleichzeitig empfinden wir Abneigung gegenüber möglichen Verlusten. Wir haben Angst davor und wollen das unbedingt vermeiden.
Unwissenheit, Gewinn und Verlust, gehören an der Börse aber genauso dazu, wie auch sonst im Leben. Es gibt einfach keine Chance, darum herumzukommen. Sie sind Teil unserer Anlegerwirklichkeit und je eher wir das akzeptieren, umso besser.
Wir können sie nicht vermeiden, sondern müssen uns mit ihnen arrangieren. Und so schlimm ist das eigentlich gar nicht.
Stell dir vor, du beginnst jetzt bei den aktuellen Höchstständen zu investieren. Sicher, es fühlt sich vielleicht etwas unbehaglich an, aber lass uns nun doch einen Blick in die Zukunft werfen. Hä? Ich dachte, die kennen wir nicht.
Ich weiß das ich nichts weiß. Wer das für Unwissenheit hält, hat es dann vielleicht doch nicht verstanden.
Es stimmt. So ganz genau kann keiner sagen, was kommen wird. Wenn wir in die Vergangenheit blicken, können wir aber durchaus ein paar Rückschlüsse ziehen, die vermutlich auch für die Zukunft gelten werden. Ein Stück Unsicherheit bleibt immer, aber manche Dinge wiederholen sich immer wieder.
Wenn wir uns die Vergangenheit ansehen, dann lässt sich daraus folgendes ableiten. In ein paar Jahren werden uns die aktuellen Höchststände sehr wahrscheinlich nicht mehr so hoch erscheinen. Wieso?
Nun. Beim Hoch vor der Dotcom-Blase, lag der MSCI World im März 2000 aber bei gerade einmal 1.445 Punkten. Okay, im Laufe des Crashs halbierte sich der damalige Wert bis September 2002 in etwa. Das war für Anleger gar nicht schön.
Im Oktober 2007 wurden aber wieder neue Rekordhöchststände von fast 1.700 erreicht. Okay. Auch danach ging es mit der Weltfinanzkrise wieder abwärts und das sogar fast bis auf die Tiefststände von 2002.
Doch mal ehrlich. Würdest Du rückwirkend nicht auch gerne zu den Höchstständen von 2000 oder 2007 einsteigen. Ich würde die jetzt sofort nehmen.
Wenn Du Dir die neuen und alten Höchststände des MSCI World seit 1975 im Chart ansiehst, was fällt Dir auf? Ja, wir sind jetzt bereits sehr hoch und liegen etwas oberhalb von 3.400 Punkten, aber die alten Höchststände von 2000 und 2007 sind im Vergleich dazu immer noch sehr niedrig.
Hier zeigt sich die Magie des langfristigen Investierens. Wie viel Sinn macht es aus der Vogelperspektive betrachtet, auf Rücksetzer zu warten oder davon zu träumen, bei einem neuen Rekordtief einzusteigen? Genau. Rhetorische Frage: gar keinen.
Beim alten Höchststand im Dezember 2021 lag der MSCI World etwas oberhalb von 3.200 Punkten. Bis September 2002 sackte der MSCI World dann auf ca. 2.400 Punkte ab. Das war dann aber immer noch um vieles höher als die Tiefststände der Dotcom-Blase von 2000 oder bei der Finanzkrise von 2007.
Hier kommt die harte Wahrheit: zum Rekordtief einzusteigen, gelingt so gut wie nie. Das ist aber nicht schlimm, denn selbst wenn wir jetzt mit etwas Pech tatsächlich den temporären Höchststand für unseren Einstieg erwischt haben, macht das nicht viel, solange wir genug Zeit haben.
Und ja, das ist der Grund, warum immer die Rede davon ist, dass wir nur Geld investieren sollen, auf das wir eine ganze Weile lang verzichten können. Wir wissen einfach nicht, was an den Märkten als Nächstes passiert.
Wenn Du aber mit ETFs breit gestreut in den Markt investierst, dann musst Du eigentlich nur geduldig auf die nächsten Höchststände warten. Die kannst Du dann im jeweiligen Moment dann auch nicht erkennen, sondern nur rückblickend. Es ist aber immerhin sehr wahrscheinlich, dass sie kommen werden.
Aber ja, das Wort „Geduld“ hängt mit erdulden zusammen. Du musst manchmal leidensfähig sein und einfach etwas aushalten.
Versuche erst gar nicht, den Markt zu timen. Das funktioniert selten bis gar nicht. Ignoriere lieber die täglichen Wasserstandsmeldungen und investiere stattdessen beharrlich und kontinuierlich.
Der Markt liegt am Boden und erreicht ein neues Rekordtief? Fein. Wenn ich jetzt investiere bekomme ich mehr Anteile für mein Geld. Der Markt steigt auf einen neuen Höchststand? Fein. Meine bisherigen Anteile sind jetzt mehr Wert.
Mach es wie ein Marathonläufer, der sein langfristiges Ziel immer vor Augen hat. Lass Deine Geldströme beständig und munter weiter in deine Investitionen fließen, egal ob es gerade Rekordtiefs oder Höchststände sind, denn Du weißt: der alte Höchststand ist das neue Rekordtief und die Ausdauer auf dem Weg bringt Dich ans Ziel.
Gehst Du davon aus, dass ein aktuelles Rekordhoch nicht mehr übertroffen wird, dann heißt das, dass Aktien nie mehr steigen werden. Das wäre dann der Kollaps unseres Wirtschaftssystems.
Okay. Kann das passieren? Ja, natürlich. Alles ist möglich im Leben. Dann hättest Du aber ganz andere Probleme, als Dich um Deine Aktienwerte zu sorgen…
P.S.: wenn Du herausfinden möchtest, wie Du Ruhe und Achtsamkeit entwickeln kannst, die Dir (nicht nur) beim Investieren hilfen, hätte ich diesen Buchtipp für Dich: Shamar Rinpoche: Buddhistische Sichtweisen und die Praxis der Meditation*
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