Alles nur Buchverluste? Während des Corona-Crashs mussten viele Anleger mit ansehen, wie sich ihr über Jahre entwickeltes Portfolio auf nach Süden machte. Bei vielen – so auch bei mir – gab es einen empfindlichen Depotabsturz.
Gerade Anleger, die noch nicht länger als 10 Jahre investieren, kennen so etwas eigentlich nicht. Nach 11 Jahren steigenden Kursen und einer Rendite von über 500% beim S&P 500 reiben sich viele Anleger nun erstaunt die Augen: „Was? Die Börsenkurse können auch fallen? Ja, dürfen die das denn überhaupt?“
Die Crash-Propheten, die quasi als Geschäftsmodell sowieso immer das Ende ankündigen einmal außen vor – warnten doch auch sonst einige Börsenkenner davor, dass viele Anleger zuletzt etwas zu sorglos die Defensive im Portfolio vernachlässigten.
Viele erwiderten in Foren auf die Warnungen, dass ein Crash doch kein Problem sei so: „Das sind doch alles nur Buchverluste und man kann das einfach aussitzen.“ Du hast das bestimmt auch schon gehört. Doch stimmt die Aussage überhaupt?
Überblick
Was sind eigentlich Buchverluste und Realverluste?
Vielleicht klären wir erst einmal, was Buchverluste bzw. Realverluste überhaupt sind. Wenn der Kurswert, das heißt der aktuelle Preis Deines ETFs, niedriger ist als Dein Einstandwert, also der Wert zu dem Du einen ETF gekauft hast, dann spricht man von einem Buchverlust.
Warum nennen wir das Buchverlust? Na, weil der Verlust zu nächst einmal in Deiner Buchhaltung auftaucht. Solange Du nicht verkaufst, ist es nur ein hypothetischer Verlust. Ein Realverlust, also ein tatsächlicher Verlust, entsteht Dir erst, wenn Du den ETF dann wirklich verkaufst.
Der Realverlust beschreibt also den Verlust, der Dir beim Verkauf eines ETFs entsteht. Also falls Du ihn tatsächlich zu einem Wert verkaufen musst, der niedriger ist als Dein Einstandwert. Natürlich können auch Steuern und Gebühren dazu beitragen, dass Du unter dem Strich einen Verlust machst.
Völlig falsch ist die Aussage „Das sind alles nur Buchverluste.“ also nicht. Wer nicht am Tiefstpunkt verkauft, sondern abwartet bis sich die Kurse erholt haben, macht keinen Realverlust.
Buchverluste und Realverluste: „Mache niemals Verluste!“ und andere Börsenweisheiten
Realverluste vermeiden, indem man Buchverluste nicht realisiert, also einfach nicht verkaufen, solange ein ETF im Minus ist. So leicht ließe sich Warren Buffets Börsenregel Nummer Eins „Mache niemals Verluste!“ scheinbar umsetzten.
Schaust Du nun wieder in die Foren, zeigt sich, dass da doch sehr viele Panik bekommen haben und viele von Verkäufen berichten oder es in Erwägung ziehen.
Wer jetzt in Foren seine Angst äußert, bekommt gerne als Erwiderung Börsenweisheiten wie diese von Buffet oder die Folgenden zu hören: „Wer die Aktien nicht hat, wenn sie fallen, hat sie auch nicht wenn sie steigen.“, oder eben einfach „Das sind doch alles nur Buchverluste.“
Die Aussagen sind ja gar nicht falsch. Irgendwie erinnern sie mich ein bisschen an Beteuerungen wie „Der beißt nicht. Der will nur spielen.“ Solche Aussagen helfen in der konkreten Situation wenig, wenn die Angst bereits die Gedanken dominiert?
Anleger sind Fluchttiere. Beim kleinsten Anzeichen von Gefahr geht es mit ihnen durch und sie rennen wie ein aufgeschrecktes Reh los. Panik treibt die Anleger auf breiter Front in die Flucht.
Das Handelsblatt berichtete gerade, dass Anleger im März so viele Anteile an Fonds verkauft hätten, wie nie zuvor und der Rückzug sogar größer sei, als in der Finanzkrise 2008.
Viele Anleger sind erst Mal verzweifelt hinterfragen die Sinnhaftigkeit des Buy and Hold-Ansatzes. Die oft floskelhaften Antworten in Foren sind dann leider nicht hilfreich, vor allem wenn sie aus einem Pathos der Überlegenheit oder mit Häme vorgetragen werden. Das beruhigt die Nerven nicht.
„Buy and Hold ist etwas für Doofe!“
Hinzu kommt, dass da noch ein weiterer Anlegertyp in Foren herumlungert und solche Beiträge bevorzugt kommentiert. Nennen wir ihn exemplarisch Max Rendite. Der war eigentlich immer schon im Forum, aber keiner hat ihn bisher so richtig Ernst genommen.
Nun ist seine große Stunde da: „Klar. Buy and Hold ist etwas für Doofe. Ich habe längst alles verkauft und bin froh. Hoch verkaufen und dann tief wieder einsteigen. So wird Gewinn gemacht.“
Tja. An der Evidenz, dass Buy and Hold in der Regel langfristig dem Timing überlegen ist, ändern solche Aussagen wenig. In der aktuellen Stimmung verfängt so etwas natürlich und viele werden nachdenklich: „Sollte ich jetzt vielleicht doch noch rasch verkaufen?“
So leicht ist es dann aber eben doch nicht. Es bleibt schwer, den Markt zu timen. Geht es jetzt weiter runter oder bald wieder hoch? Niemand kann das verlässlich beantworten.
Es kann sein, dass wir mit dem aktuellen Depotabsturz das Tief erreicht haben und es rasch wieder bergauf geht. Dann wäre es fatal zu verkaufen. Es kann sein, dass es aber noch weiter runtergeht. Im Prinzip ist das für einen Buy and Hold-Anleger aber unerheblich.
Wie im letzten Artikel geschrieben, ist Buy and Hold keine Schönwetterstrategie. Auch wenn es im Crash schwer fällt daran festzuhalten, ist es eigentlich alternativlos. Halten, komme was wolle. Das fällt aber leider nicht so leicht.
„Wenn es zu Verlusten kommt, kein Problem. Einfach nicht verkaufen. Das sind doch alles nur Buchverluste.“ Tja. Vor dem Crash, schienen das viele für eine geeignete Option zu halten. Ganz so leicht ließ sich das dann bei einigen aber doch nicht umsetzen.
Buy and Hold ist eben sehr leicht und gleichzeitig verdammt schwer. Buy and Hold ist keine Strategie für Doofe, wohl aber eine, die sehr viel Geduld und Nervenstärke braucht, besonders während eines Crashs.
Wie real sind die Buchverluste eigentlich?
Ist die Realität von Buchverlusten flexibel oder verhandelbar? Nicht wirklich. Wie heißt es so schön:
When I argue with reality, I lose – but only 100 percent of the time.
Wenn ich mich mit der Realität anlege, verliere ich – aber nur in 100 Prozent der Fälle.
Katie Byron
Buchverluste fühlen sich für die allermeisten leider verdammt real an und das nicht ohne Grund. Willst Du jetzt verkaufen bzw. brauchst Dein Geld, dann kommst Du da nicht ohne empfindliche Verluste heran.
Natürlich hilft es, sich klar zu machen, dass der Depotabsturz zunächst einmal lediglich Buchverluste verursacht. Wenn ich jetzt nicht verkaufe, mache ich keinen Realverlust daraus.
Das gilt für Gewinne ja aber ganz genauso. Solange Du Depotwerte nicht verkaufst, kannst Du Dich zwar an neuen Höchstständen erfreuen, Ihre Früchte kannst Du dann aber auch nicht kosten.
Buchverluste sind nur dann echte Verluste, wenn Du verkaufst. Wenn Du während eines Crashs und dem damit einhergehenden Depotabsturzes plötzlich an Dein Geld musst, entstehen Realverluste. In der realen Welt ist Dein Depot nämlich zu diesem Zeitpunkt wirklich nur so viel Wert.
Die Gründe für einen Verkauf können vielfältig sein, auch ohne das Panik eine Rolle spielt. Denk an die große Anzahl von Selbstständigen, die plötzlich ohne Einkünfte dastehen. Denk an die vielen Angestellten, die jetzt in Kurzarbeit gehen. Da braucht es nicht viel Fantasie.
Rechnungen wollen bezahlt und Kredite bedient werden. Gerade in einer Krise, in der ja auch oft Arbeitsplätze wegfallen, sind wohl einige auf ihr Erspartes angewiesen.
Insbesondere wer keinen ausreichend großen Notgroschen angelegt hat, muss dann – Depotabsturz hin oder her – vielleicht doch an die Anteile im Depot heran.
Egal, warum verkauft wird. Fakt ist, dass erschreckend viele Privatanleger in der Krise verkaufen. Musst Du Teile Deines Depots während einer Krise liquidieren, manifestieren sich Buchverluste dann eben doch sehr schnell als Realverluste.
Ebenso kann es aber auch einfach sein, dass Du Dich sorgst, weil Du den Ausgang der Corona-Krise nicht überblicken kannst. Wie lange wird das noch dauern bis die Verluste wieder ausgeglichen werden? Für viele sind die scheinbaren Buchverluste emotional sehr real .
Ein Blick ins Depot zeigt dir jetzt einfach einen ganz anderen Depotstand an als noch vor Kurzem. Dein Depot ist Stand jetzt tatsächlich viel weniger Wert. Der Verlust ist real.
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Der Depotabsturz ist nur ein Momentaufnahme und wird sich hoffentlich bald wieder ändern? Keine Frage. Im Nachhinein waren das vermutlich wirklich nur Buchverluste, solange Du jetzt eben nicht verkaufst.
Alles nur Buchverluste? Von wegen. Der aktuelle Depotstand ist keine Fata Morgana. Er ist real. Andererseits ist er auch nicht in Stein gemeißelt. Aus den Buchverlusten müssen in der Tat keine Realverluste werden.
Buchverluste sind zwar real, sie sind aber ebenso vergänglich wie Buchgewinne. Wenn Du lange genug wartest, kommst Du sehr wahrscheinlich wieder in die Gewinnzone.
Die Chancen dafür sind besonders hoch, wenn Du ein sehr breit über verschiedene Anlageklassen und Regionen diversifiziertes Portfolio hast. Ein Unternehmen kann weiter sinken und bankrott gehen. Dass es eine ganze Anlageklasse tut ist zum Glück extrem unwahrscheinlich.
Fazit – Alles nur Buchverluste? Jain.
Sind das nach einem Depotabsturz wie jetzt im Corona-Crash alles nur Buchverluste?
Nein. Die Verluste durch den Depotabsturz sind leider vorübergehend ziemlich real, was Du merkst, sobald Du einen Deiner Werte liquidieren musst. Er ist dann nämlich wirklich nur genau so viel Wert.
Musst Du jetzt verkaufen, findest Du keinen Käufer, der bereit wäre, Dir einen besseren Wert zu geben. Den Käufern ist es aktuell egal, ob Dein ETF in 1-2 Jahren voraussichtlich wieder einen höheren Wert haben wird. Sie zahlen Dir nur, was er aktuell Wert ist.
Ja, vorausgesetzt, Du kannst Deine marktbreiten ETFs lange genug halten, bis die Kurse wieder steigen. Dann kannst Du Dich gewiss über zukünftige Buchgewinne freuen.
Irgendwie lustig, oder? Die Zukünftigen Buchgewinne sollen real sein, die aktuellen Buchverluste hingegen nicht. Da stimmt doch wohl irgendetwas nicht. Entweder sind beide gleiche real oder nicht…
Hast Du den Spruch, „Das sind doch alles nur Buchverluste.“, auch schon zu hören bekommen? Wie stehst Du dazu?
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